Anweisungen an Schiris für die Saision 2002/2003
Schiedsrichter erhalten jährlich auf den sogenannten Saison-Vorbereitungslehrgängen den Schliff für die neue Spielrunde. Mit Hilfe von Video-Rückblicken und der Zusammenarbeit mit den Bundestrainern Heiner Brand und Ekke Hoffmann, sowie dem IHF-RSK-Mitglied Manfred Prause wurde vorher eine intensive Besprechung in Steinbach (Südbaden) durchgeführt. Die Schwerpunkte, die im letzten Jahr besonders aufgrund der DSF-Übertragungen manchmal zur Negativdarstellung der Handball-Bundesliga nicht nur in Deutschland, sondern europa- und sogar weltweit führten, wurden besprochen und aufbereitet. Manfred Prause möchte erreichen, dass auch international solche Anweisungen umgesetzt werden. Um eine Vereinheitlichung der Regelauslegung in kritischen Bereichen zu erreichen, wurden aus dieser intensiven Besprechung Anweisungen für die Schiedsrichter entworfen. Dass es Ausreißer in die eine und andere Richtung geben wird, darüber sind sich alle bewusst. Die Zahl der Entscheidungs-Ausreißer sollte allerdings minimiert werden.

Von den Außenpositionen gab es viel Unzufriedenheit zu hören und schwankende Auslegungen zu sehen (Zitat eines Co-Kommentators bei DSF-Spielen: "Man weiß als Spieler oftmals gar nicht, was man darf und was nicht, denn einmal wird das als 7-m gepfiffen, ein anderes Mal als Stürmerfoul"). Um den Schiedsrichtern vor Augen zu halten, was mit solchen Aussagen gemeint ist, wurde die verschiedensten "Aktionen von Außen" von den Bundestrainern mittels Videosequenzen dargeboten und die entsprechenden Folgerungen herausgestellt.

A: Aktionen von der Außenposition

1
Erkennbare Auswirkung der Behinderung (Hüft-/ Körperblockade mit einer / beiden Händen) Progression + 7m

2
Nicht erkennbare Auswirkung der Behinderung Vorteil
Hinweis an den Spieler

3
Knie - oder Fußblockade (Versuch) Sofort Hinausstellung

4
Knie - oder Fußblockade (erfolgreiche Destabilisation) Sofort Disqualifikation !

5
Kurzzeitiges Betreten des Torraums mit anschließendem "Zurückziehen" 7m
Hinweis an den Spieler

5
Versperren des Laufwegs mit Bein/Fuß auf Außen Progression + 7m

7
Außenspieler springt auf den passiv und korrekt stehenden Abwehrspieler Stürmerfoul

8
Außenspieler fädelt beim passiv und korrekt stehenden Abwehrspieler ein Spiel evtl. weiterlaufen lassen (je nach Situation)
nie 7m !!
Hinweis an den Spieler


Die Chance einer durchaus kampfbetonten Abwehr sollte gewahrt bleiben. Daraus leitet sich aber auch die korrekte Aktion der Angriffsspieler ab. Die fehlerhaften Aktionen (Sperre und Wurfschirm) vor allem durch Kreisspieler, die für Jeden klar erkennbar Einfluss auf das Spiel haben, sollen eliminiert werden. Auch hier wird gelegentlich mit Übertreibungen zu rechnen sein. Die Schiedsrichter müssen in solchen Fällen noch intensiver an sich selbst arbeiten wollen und können. Eine Erhöhung der Lehrgangszahl aus solchen Gründen ist in der Ideenfindung, häng aber vom finanziellen Rahmen ab, der für die Schiedsrichterfortbildung zur Verfügung gestellt werden kann. Die taktische "unfeine" Art des "Hinterlaufens der Abwehr im Torraum" wurde schwerpunktmäßig in Theorie und im Rahmen eines Turniers besonders hinsichtlich Blickverhalten des Torschiedsrichters angesprochen, diskutiert und trainiert. Oftmals ist/war es so, dass so mancher Torschiedsrichter im Spiel mehr "Handball zugeschaut", als sich auf seine speziellen Aufgaben (Bereich Torraum) konzentriert hat.


B: Sperre / Schirm / Hinterlaufen der Abwehr

Auf fehlerhafte Sperrvorgänge (Arme, Ellbogen, Gesäß, sehr breite Beinstellung) muss der Torschiedsrichter achten, damit keine taktischen Nachteile gegen die abwehrende Mannschaft entstehen. Stürmerfoul

Schirmaktionen gegen Würfe (z.B. bei Freiwurfausführungen oder nach Kreuzen) dürfen nicht mit Armen zum Abdrängen des Abwehrspielers angewendet werden. Stürmerfoul

Das Hinterlaufen der defensiven Abwehrspieler durch den Torraum ist jeweils durch den TOR-Schiedsrichter sofort zu unterbinden. Dies sind taktische Aktionen, die grobe Nachteile der Abwehrspieler und des Abwehrsystem zur Folge haben. Stürmerfoul


Kaum ein Thema hat in der vergangenen Saison unsere TV- und Live-Beobachter aus dem In- und Ausland mehr negativ angetan, als das Trainerverhalten im Auswechselbereich. Wie sollen wir unsere Sportart marketingmäßig gut verkaufen, wenn von Außen vielfach "nur" Theater gespielt wird? Coaching ist "o.K.", aber alles andere muss eingedämmt werden. Aus diesem Grund wurden viele wesentlichen Möglichkeiten mittels Video dargestellt, diskutiert und als Anweisung fixiert. Die entsprechenden Anweisungen sollen die Schiedsrichter umsetzen, was auch eine gewisse Disziplinfähigkeit der Trainer/Offiziellen voraussetzt. Die Schiedsrichter wurden angewiesen, sehr behutsam, aber konsequent mit solchen Verhaltensweisen umzugehen, weshalb vor der eigentlichen Strafe erst eine klare, bestimmte und freundliche Mahnung an den betroffenen Trainer ausgesprochen werden soll. Danach muss mit den entsprechenden Konsequenzen von Anfang an gegengesteuert werden. Außerdem wird von den Trainern, vor allem von Aufsteigermannschaften und von unbekannteren Trainern, gefordert, dass eine Gleichbehandlung vorgenommen wird. Es kann nicht sein, dass z.B. ein bekannter Trainer oder der Trainer einer Spitzenmannschaft permanent im Spielfeld stehen darf, während der "kleine Trainer" bereits beim ersten Mal mit einer Verwarnung bestraft wird. Das wollen wir nicht und das darf nicht sein. Dies korrekt und mit Fingerspitzengefühl umzusetzen ist auch eine Frage der Persönlichkeit der Schiedsrichter!


C: Bankverhalten

Trainer steht permanent i.O.

Trainer läuft ein klein wenig ins Spielfeld / verlässt den AWR und reklamiert / kritisiert Progressionsreihe

Trainer läuft in Richtung Spielfeldmitte (z.B. Richtung SR) Progressionsreihe ab V

Trainer steht dauernd im Spielfeld zum Coachen (Hallengröße) Progressionsreihe

Mehrere Personen stehen zum Sitzen auffordern

Trainer reklamiert / kritisiert ohne Zurücknahme seiner Emotion gegen SR Progressionsreihe

Trainer putscht das Publikum auf Progressionsreihe ab V

Gleichbehandlung bekannter / unbekannter bzw. Heim- / Gast- Trainer wird gefordert vgl. diese Anweisungen



Bereits beim Winterlehrgang im Januar 2002 mussten einige spontane Anweisungen beschlossen werden, da die Klagen aus der Liga (direkte Informationen oder aus DSF-Spielen) zugenommen haben. Die Vereinsbeobachtungen haben das Ihrige dazu beigetragen. Nachholbedarf wurde in vielen Bereich auf den Beobachtungsbögen attestiert. Bevor jedoch die nachfolgenden Bereiche zur Umsetzung kamen, wurden alle Vereine vor Beginn der Rückrunde entsprechend informiert. Leider haben es offensichtlich einige Geschäftsstellen oder Manager versäumt, diese doch wichtigen Dinge bis zu den Spielern weiterzureichen. Die Schiedsrichter wurden somit vom DHB-Schiedsrichterausschuss gebeten, vor Spielbeginn deswegen noch einmal mit den Trainern zu reden. Manch erstaunliches Informationsdefizit kam dabei zu Tage.


D: bestehende Anweisungen (wichtige Auszüge):

1. Bauchnummern sind nicht regelgerecht und deshalb zu monieren. Zeitnehmer/Sekretär, Presse und Zuschauer wird durch regelwidrige Nummern die Zusammenarbeit erschwert. Es sollte eigentlich im Interesse eines jeden Vereins liegen, eine gute Außenwirkung zu erzielen, dazu gehört nun mal, dass jeder erkennt, wer das Tor erzielt hat usw.

2. Trikotfarben von Torwart und Mannschaften müssen sich unterscheiden (4 unterschiedliche Farben im Spiel. Manchmal ist es sowohl für Spieler und Schiedsrichter schon schwer genug, die einen von den anderen Spielern zu unterscheiden. Wenn dann die Zuschauer noch bis an das Spielfeld sitzen, dann wird dieses Unterfangen geradezu abenteuerlich. Wie sollen die Helfer am Tisch, die Presse und die Zuschauer in einem solchen Farbenwirrwarr erkennen, wer was gemacht hat? Ist das ein positives Beispiel für eine gute Außenwirkung?
3. Ausführung von Würfen:
a) Freiwurfausführungen aus dem schnellen Laufen / im Sprungwurf sind regelwidrig und deshalb von den Schiedsrichtern zu korrigieren! Immer wieder kann festgestellt werden, dass so manche Wurfausführung sehr schnell und falsch ist. Daraus resultierende Tore sind irregulär und gewinnen dann an Bedeutung, wenn ein Spiel knapp endet. Es gibt gewisse formelle Regeln, an die sich alle halten müssen.

b) Auf Abstandsverletzungen bei Freiwurfausführungen wird verstärkt geachtet. Gerade in Schlussphasen eines Spiels, wenn mit spielerischen Mitteln nur noch wenig geht, versuchen die Mannschaft verstärkt über Freiwurfausführungen sozusagen "mit der Brechstange" zum erfolgreichen Torwurf zu kommen. Gravierende Abstandsverletzungen wurden speziell in solchen Phasen gehäuft vorgefunden. Auch hier gelten die formalen Regeln, an dies sich Alle zu halten haben.

4. Passives Spiel / Anwurfverzögerung nach Torerfolg
Ein großes Problem stellt das "Passive Spiel" dar. Sollten wir es nicht schaffen, diesen Bereich zur vielfältigen Zufriedenheit überzeugend umzusetzen, wird bei der nächsten Regeländerung (...die Diskussionen haben längst begonnen!) die Angriffszeitbeschränkung kommen. Beim letzten Änderungsdurchgang konnte diese Regel gerade noch einmal ausgesetzt werden (vgl. handballschiedsrichter 2/02). Wir haben uns um die nachfolgenden Momente, die aus umfassenden Beobachtungen am häufigsten zu verzeichnen waren, verstärkt gekümmert.

a) Mannschaft in Unterzahl > z.B. auf Foul "warten"; nur "quer" laufen > PASSIV-WARNZEICHEN

b) Auswechseln im begonnenen Positionsspiel z.B. nach langsamer Spielfeldüberbrückung, wobei sich jeder Spieler bereits in seiner Angriffsposition befindet und dann erst langsam auswechselt -> PASSIV-WARNZEICHEN!

c) Das zügige Auswechseln nach einem erfolglosen und deshalb abgebrochenen "erweiterten Gegenstoß" ist zu gestatten > KEIN Warnzeichen!

Aus einem nordischen Land kommt die nachfolgende Auslegung der Anwurfverzögerung nach einem Torerfolg. Die Frage kam auf, wie denn das immer wieder auftauchende "Time-out" vor allem gegen Ende des Spiels reduziert werden könnte. Der Bericht bezüglich der Umsetzung in Nordeuropa hat uns veranlasst in Deutschland ebenso zu verfahren. Die bisherigen Rückmeldungen und Erkenntnisse waren allesamt positiv. Die Vereine wurden instruiert und reagieren inzwischen mindestens mit dem (etwas) schnelleren Anwurf!
d) Wenn nach einem Torerfolg die Mannschaft den Ball nur sehr langsam zum Anwurf bringen will, darf KEIN Time-OUT gegeben werden. Diese Mannschaft / der betroffene Spieler ist aufzufordern "den Anwurf bitte zügiger zu ermöglichen".

> Reagiert der betroffene Spieler mit erkennbarem Bemühen, ist keine weitere Maßnahme notwendig.

> Folgt keine erkennbar positive Reaktion, ist weiter so zu verfahren: Nach dem Anwurf ist sofort das WARNZEICHEN "Passiv" zu zeigen, damit die betroffene Mannschaft erkennt, dass ihre unattraktive taktische Passivabsicht durchschaut ist.

> Folgt eine erkennbar langsamere Reaktion, dann ist Time-Out zu geben und der betroffene Spieler progressiv wegen "Unsportlichkeit" zu bestrafen.

Ein Riesenproblem, das in den vergangenen Jahren sicher bei der Lehrarbeit etwas vernachlässigt wurde, ist und bleibt der "Schritte-Bereich". Vielfältigste Anmerkungen / Beschwerden auf den Beobachtungsbögen von Vereinen und neutralen Beobachtern haben uns zu diesem gravierenden Schritt mitten in der Runde bewogen, endlich etwas gegenzusteuern. Schwierigkeiten hat dies den Spielern/Trainern genauso bereitet, wie den Schiedsrichtern und Zuschauern. Obwohl alle Parteien die Tatsache kennen, dass manche Schrittfolgen wie z.B. der "Überzieher" deutlich "schrittegefährdet" sind, haben alle Probleme damit, sich umzustellen. Was jahrelang nicht gepfiffen wurde und sich demzufolge bei den Spielern automatisiert hat, wird jetzt geahndet. Zugegeben, für die Spieler ein Problem. Da aber Spieler oftmals in der Woche trainieren, könnte das im Training auszumerzen oder zu reduzieren sein. Schrittfehler werden niemals ausgerottet werden können, weil Schrittfolgen immer wieder der Beobachtungsgabe von Menschen unterworfen sind, da sind Fehler an der Tagesordnung....aber die gravierende Schrittfolgen mit 5/6 oder gar mehr Schritte mit Torerfolg (!) sollten doch im allgemeinen Interesse ausgerottet werden können?


5. Schrittregel ist strenger auszulegen!

a) nach eigenem Anprellen und darauf folgender Ballannahme in der Luft ist kein 0-Kontakt mehr möglich. Diese Art der Ballannahme stellt bereits den 1. Schritt dar. Der 0-Kontakt kann nur bei der insgesamt ersten Kontaktaufnahme mit dem Ball nach einem Zuspiel (Mitspieler/Gegner) erreicht werden!

b) Sogenannte "Überzieher" wurden videomäßig und im Hallentraining klar als äußerst "schrittegefährdet" entlarvt!

Die Regeländerung 2001 hat uns im Bereich der "klaren Torgelegenheit ohne Ball" einen Hit beschert, der für manchen ein großes Problem darstellt. Dieser Änderung wurde ausführlich mit Videomaterial und intensiver Schulung Rechnung getragen. Bei Spielern ist diese Änderung zu Rundenbeginn erkennbar nicht so genau angekommen, weil ...Informationsweitergabe...usw. Gemeint ist die sogenannte "Notbremse" gegen einen Angriffspieler, der dem Abwehrspieler entwischt ist. Der Abwehrspieler versucht nun zu verhindern, dass dieser Spieler den Ball annehmen kann.


6. Klare Torgelegenheit ohne Ballbesitz
hier ist der taktische Hintergrund von Fouls gegen den (noch) nicht ballbesitzenden Spieler am Torraum eindeutig geklärt worden (wer hat Interesse am Foulspiel / an der Verhinderung der möglichen Ballannahme?). Demzufolge werden solche Aktionen verstärkt zu 7-m-Entscheidungen führen.


Handball soll attraktiver werden. Wie geht das, wenn am Torraum die "Ringerbundesliga" oder die "Vereinigung der Trikottester" am Werke ist? Hier wurden die Torschiedsrichter entsprechend geschult "Ursache und Wirkung" bzw. "actio und reactio" sofort zu ahnden. Die gravierenden Aktionen, die Jedermann in der Halle sieht, sind es, die unseren Handball ins unattraktive Licht bringen.

7. "Ringen / Gewürge" am Torraum
die Torschiedsrichter sind angewiesen, sehr genau und sofort auf den Verursacher (nach möglichem Vorteil) zu reagieren und konsequent Strafen (+ evtl. notwendigem 7-m) auszusprechen.

Wir dürfen uns dabei auch nicht vom Ausland leiten lassen. Gerne werden immer wieder die mahnenden Worte laut "aber international wird das nicht gepfiffen" oder "wir entfernen uns von der internationalen Linie". Wir müssen uns im Klaren sein, dass wir uns als größter Verband der Welt mit einem weltweit zu empfangenden DSF-Mittwochsspiel als Vorbild fühlen müssen, an dem sich andere orientieren können/sollen und nicht unbedingt immer umgekehrt. Wir haben mit die stärkste Liga der Welt, das haben wir nach Außen zu verteten und entsprechend zu vermarkten.



Kaiserau, Halberstadt, Saarbrücken im August 2002

Peter Rauchfuß
komm. DHB-Schiedsrichterwart

Hans Thomas
DHB-Schiedsrichterlehrwart